Wer Grasse zum ersten Mal besucht, fühlt sich, als betrete er eine längst vergangene Welt. Gleich zu Beginn der Altstadt steht das Musée International de la Parfumerie, eine historische Fabrik lädt zur Besichtigung ein und oberhalb der Rue Jean Ossola hängen dünne Schläuche, aus denen an heißen Tagen ein erfrischender, dezent duftender Sprühnebel ausgestoßen wird. Das Thema Parfüm ist überall präsent – in den Auslagen der Buchhandlung, in Souveniershops oder Boutiquen und in den Ateliers und Verkaufsräumen kleiner Parfümerien.

Wer mehr über die Hintergründe der Parfümherstellung erfahren möchte, ist hier genau richtig. Traditionelle Firmen wie Fragonard, Molinard oder Galimard haben sich ganz auf den Tourismus eingestellt und bieten Workshops an, in denen man mehr über die Welt der Düfte erfährt und sogar ein eigenes Parfüm mischen kann.

Doch wer genauer hinsieht ahnt, dass Grasse, dessen Fabriken einst zu den modernsten der Parfümindustrie zählten, seine Vormachtstellung längst verloren hat.

Lieferten sie noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts fünfundneunzig Prozent der natürlichen Duft- und Aromastoffe in alle Welt, waren sie während des zweiten Weltkrieges plötzlich vom internationalen Handel abgeschnitten. Nach dessen Ende mussten die vorwiegend familiengeführten Unternehmen erkennen, dass die Konkurrenz aus anderen Ländern gewachsen war. Doch ihnen fehlten die finanziellen Mittel, in neue Technologien zu investieren, die meisten verpassten den Sprung in die Moderne.

Der Großteil wurde von Konzernen aus der Schweiz, den USA oder Deutschland übernommen, die das traditionelle Wissen zum Ausbau weiterer Märkte nutzen und ihr Portfolio mit dem klingenden Namen ergänzten. Nur wenigen Unternehmen aus Grasse ist es gelungen, sich selbst international aufzustellen und ihren Platz durch Investitionen in die Forschung zu behaupten. Eines von ihnen ist Robertet, das weltweite Tochterfirmen hat und den Parfümmarkt neben Konzernen wie IFF, Givaudan, Firmenich und Symrise beherrscht.

Und Grasse selbst? Wer mit offenen Augen durch die Straßen der Altstadt geht, kann den Verfall nicht übersehen. Die erst vor wenigen Jahren neu getünchten Fassaden beginnen zu bröckeln. 2015 stürzten drei Häuser ein, wie durch ein Wunder gab es keine Opfer. Es heißt, die Ursache sei neben seismografischen Verschiebungen vor allem die Feuchtigkeit.

Ich selbst habe Grasse in den vergangenen vierundzwanzig Jahren drei Mal besucht. Der schleichende Verfall hat mich sehr berührt. Ebenso die zunehmende Verdrängung der Kulturlandschaft durch die immer dichter werdende Bebauung oberhalb der Côte d’Azur. Und so spricht mir mein Ermittler Pierre Durand aus dem Herzen, als er wieder nach Sainte-Valérie zurückkehrt:

„Eine plötzliche Dankbarkeit erfüllte ihn. In diesem Augenblick befand er sich inmitten des Calavon-Tals zwischen Luberon und Monts de Vaucluse, das ähnlich fruchtbar war wie die Täler bei Grasse. Nur gab es hier statt immer dichter werdender Bebauung vorwiegend Landwirtschaft. Man hatte rechtzeitig eingegriffen und den Bereich zum regionalen Naturpark erklärt, war zudem Teil des Biosphärenreservats Luberon-Lure, was strenge behördliche Auflagen zur Folge hatte, sodass manch Besitzer, dessen Haus außerhalb der ausgewiesenen Bebauungsflächen lag, nicht einmal den heiß ersehnten Pool ausbaggern durfte.“

Ja, die Provence ist vielseitig. Und hinter jeder Landschaft steht eine Geschichte. Auch für den siebten Band gibt es viele interessante Hintergründe zu erkunden. Welche das sein werden, erfahrt Ihr im November.